Ich über: Netflix’ Dark (oder eher Bland)

Hier ist, was aus dem Großvaterparadoxon folgt: Entweder es tut sich ein neuer Zeitstrahl auf, wenn man in die Vergangenheit reist, um die Zukunft zu verändern. Oder man kann einfach nicht die Zukunft verändern. Die erste deutsche Netflix-Produktion entscheidet sich für letzteres.

Schon in der allerersten Szene von Dark erklären Baran bo Odar und Jantje Friese, dass die Zeit fest sitzt und man nichts verändern kann. Das ist eine mutige Entscheidung, denn es ist sicher nicht leicht, eine spannende Geschichte zu erzählen, in der alles, was Charaktere tun, bereits vorausgesagt wurde und auch genau so eintrifft. Und weil wir das von Szene 1 an wissen, müssen sich die Macher besonders um unsere Investition bemühen.

Stattdessen reist in einer der späteren Folgen ein Charakter in die Vergangenheit, möchte die Zukunft verändern und handelt entsprechend. Wir wissen natürlich, dass das Unternehmen vergebens ist, aber es wird dennoch so gefilmt, als hätte er Erfolg gehabt, und uns als Twist präsentiert, dass er gescheitert ist (zum Erstaunen niemandes). Dann im Finale der ersten Staffel, wo auch der letzte Zuschauer es endlich vollkommen verstanden haben sollte, versucht eine Figur nicht nur verzweifelt, die Zukunft zu ändern, es wird auch noch aus dem Off kommentiert, wie hoffnungslos das ist. Dark ist von Anfang bis Ende aussichtlos. Und nicht in der Art, in der wir es langsam realisieren (erneut: von Szene 1 an wird es uns gesagt), sondern in der Art, in der wir genervt darauf warten, dass es endlich auch alle anderen bemerken.

Nun gut, dann steht halt alles fest. Das Konzept kann immer noch genutzt werden, um kaputte Charaktere zu zeigen und wie sie kaputtgingen. Dark könnte ein Puzzle sein, das langsam gelöst wird. Und es macht gelegentlich den Anschein, als wollte die Serie das. Die ganze dritte Episode spielt in der Vergangenheit und versucht, uns zu zeigen, wie anders früher alles war: Alle waren wie heute, aber jünger. Man könnte argumentieren, dass die Charaktere immer kaputt waren. Gute Leute wurden nicht korrupt. Schlechte Menschen zeigten nie Einsicht.

Aber vielleicht sind die Charaktere trotzdem interessant? Sind sie nicht. Sie teleportieren sich irgendwie immer genau dahin, wo sie für einen Dialog gebraucht werden. Bis auf zwei Ermittler, die mehr aus Neugierde als aus Arbeitsmoral handeln, verfolgt keine Hauptfigur einen Job. Die Schüler gehen nur zur Schule, um sich dort zu zanken oder schlechte Meta-Theaterstücke zu besuchen. Manchmal küssen sich zwei, das sieht dann aus wie wenn Roboter sich an Emotionen probieren. Alle betonen, wie blöd das Dorf, in dem sie leben, ist, und man kann ihnen fast glauben, dass Winden eine dunkle Energie umgibt, die alle an ihre Abgründe treibt, doch leichter ist zu glauben, dass die Serienmacher zwar eine riesige Besetzung haben wollten, um den Plot undurchsichtiger zu machen (zugegeben, mit rotem Faden wäre das Puzzle öde), aber nichts mit ihr anzufangen wussten, sodass sie allen Rollen das gleiche Profil gegeben haben.

Natürlich fragte mich Netflix am Ende der zehnten Folge, ob ich der Serie den Daumen hoch oder runter geben wollte. Es ist die erste deutsche Produktion und ich will sie nicht unter die Räder werfen, auch wenn Nationalstolz irrational ist. Die Musik und besonders die verwendeten Songs sind gut, auch wenn der Serie ruhige Momente nicht schaden würden. Die Idee ist interessant und mutig, auch wenn sie schlecht umgesetzt ist. Die Aufnahmen sind schön, auch wenn alles gleich aussieht. Die Darsteller machen einen guten Eindruck, auch wenn sie mit schlechten Dialogen arbeiten müssen.

Ich gab Dark den Daumen hoch, auch wenn ich die Serie niemandem empfehle. Ich wünsche der zweite Staffel weniger “auch wenn”s.