Ich finde The Longest Journey nicht so gut geschrieben, wie alle sagen

Dieser Blogeintrag über das beliebte Point 'n' Click Adventure schreit nur danach, mit "Mach's doch besser!" beantwortet zu werden. Wir werden sehen, ob Ragnar Tørnquist täglich nach sich selbst googelt, diesen Blogeintrag findet und auf englisch oder norwegisch übersetzt und mir dann antwortet "Gut tun du!" (Google Übersetzung von "Mach's doch besser!" von englisch oder norwegisch auf deutsch).

Hier ist mein Twitter-Account, Tørnquist. Und ich verstehe englisch.

Nichtsdestotrotz...

Ich finde, dass The Longest Journey zwar ein schönes Spiel ist und auch eine gute Geschichte hat, aber im Detail trotzdem nicht gut geschrieben ist.

Es beginnt mit dem Antrieb. Scheinbar wollte Tørnquist, dass die Protagonistin nicht wirklich weiß, was sie möchte, aber das ändert nichts daran, dass es schlecht an sich ist, wenn man eine Figur ohne Ziel spielt. Das ganze erste Kapitel und auch in großen Teilen die nächsten zwei und immer wieder in allen folgenden ist voller "Ich will nicht" oder "Ich möchte nicht" oder "Ich weiß nicht".

Es ist unfassbar frustrierend, zu sehen, wie April immer wieder gesagt kriegt, dass sie wichtig für die Balance zwischen zwei Welten ist, sie aber nicht fassen kann, dass sie wirklich so wichtig ist. Sie ist die verdammte Protagonistin. Wäre sie nicht so wichtig, würde man nicht das Spiel spielen. Keiner macht einen Film über den Obsthändler, dessen Stand in der James Bond Verfolgungsjagd spektakulär zerstört wird.

Als Beispiel dafür, wie das gut umgesetzt wurde, möchte ich Monkey Island nehmen. Guybrush Threepwood tritt ins Spiel und will Pirat werden, behauptet sogar, bereits einer zu sein. Er hat ein Ziel.

April Ryan hingegen möchte überhaupt nichts. Sie möchte eigentlich nicht mal das Bild fertigkriegen, das zu Beginn des Spiels das erste Ziel ist. Aber schlimmer noch: Sie macht es trotzdem. Sie kriegt von jedem gesagt, was sie machen soll und sie möchte es nicht machen und sie macht es trotzdem. Und wenn sie sich langsam damit abfindet, dass sie weltenbedeutend ist, stößt sie trotzdem noch auf Figuren, die ihr sagen, sie werde diese und jene Prophezeiung erfüllen, nur um das als unwahrscheinlich abzutun... und die Prophezeiung trotzdem zu erfüllen... und später stolz davon zu erzählen, wie sehr sie diese Welt verändert hat und verändern wird... um dann beim nächsten Mal wieder...

Ich kann verstehen, dass eine Figur in einer Cyberpunkwelt nicht sofort glaubt, dass sie Portale in eine zweite mittelalterfantastische Welt erzeugen und beide Welten vor einer bösen Organisation bewahren kann, aber muss sie wirklich in jedem zweiten Dialog es nicht fassen können oder keinen Bock drauf haben?

Die Dialoge lassen generell zu wünschen übrig.

Sie sind vor allem einfach zu lang. Oder eher: Sie fühlen sich zu lang an. Man stößt einmal auf einen alten Mann, der eine Geschichte erzählt, der die Protagonistin zum Einschlafen bringt. Ha, lustig. Aber tatsächlich gibt es oft ähnliche Geschichtenerzähler. Nur dass die interessante Inhalte vermitteln sollen, es aber extrem öde tun. April schläft dabei natürlich nicht ein, aber ich fand es oft ermüdend. Es wirkt besonders lächerlich zu Beginn, wenn April von Figuren, die sie kennt, in so, so vielen Worten erzählt bekommt, was sie bereits weiß, damit der Spieler es auch erfährt. Nicht dass es die Figuren dadurch menschlicher wirken lässt (denn so reden Menschen nicht) oder den Spieler mehr in die Welt investieren lässt (denn so wirkt die Welt nicht echt).

In Teilen wirkt es auch so, als seien gleiche Charaktere von verschiedenen Personen geschrieben. Cortez taucht das ganze Spiel immer mal wieder auf und immer wieder hat er eine andere Einstellung dazu, wie viel er April wissen lassen sollte oder nicht. Viele sind April erst abgeneigt, dann aber sofort ihre besten Freunde. Und April... all das im vorigen Abschnitt besprochene...

Es gibt noch weitere Probleme, die ich nicht ansprechen werde, weil ich keine Twists oder Einzelheiten verraten möchte, aber das Spiel wirkt wirklich oft wie ein zusammengeflicktes Etwas, das gegen Ende zusätzlich immer mehr gehetzt vorkommt.

Das mag so wirken, als bereue ich es, The Longest Journey gespielt zu haben, aber letztendlich ist es ein wirklich gutes Spiel. Mit einer guten Geschichte.

Genau deshalb stört mich, dass es im Detail trotzdem so schwach ist. Das Problem ist vielleicht, dass das Spiel so lang ist. Es fühlt so so an, als mache man mehrere Reisen, bei denen man zwischendurch immer wieder bei 0 anfängt.

Lustigerweise funktioniert aber all das für das Ende. Die lange Spielzeit, das hin und her... es macht das Ende bedeutender und wirksamer.

Es ist schade, dass man die Probleme bis zu diesem tollen Ende ertragen muss. Und vielleicht bin ich auch tatsächlich der einzige, den all die eben genannten Sachen zwischendurch ernsthaft gestört und genervt haben. Aber ich kann mir vorstellen, dass viele das Spiel deshalb so toll finden, weil das Ende so vieles wieder gut macht oder sogar erklärt. Nicht unbedingt vom Klartext her, sondern vom Gefühl. Es fühlt sich richtig an.